Motivation
Die Weltgesundheitsorganisation WHO gibt an, dass die Luftverschmutzung durch Feinstaub (Particulate Matter, PM) das größte umweltbedingte Gesund-heitsrisiko in Europa darstellt und eine erhebliche Krankheitslast verursacht. Schätzungen zufolge lebten im Jahr 2014 mehr als 90 % der Weltbevölkerung an Orten, an denen die WHO-Luftqualitätsrichtlinien nicht eingehalten wurden, was zu mehr als 3 Mio vorzeitigen Todesfällen aufgrund von Luftverschmut-zung führte. Eine kürzlich durchgeführte Studie über die US-amerikanische Medicare-Bevöl-kerung kam zu dem Schluss, dass die Exposition gegenüber Luftver-schmutzung selbst unterhalb der WHO-Richtwerte zu schwerwiegenden gesundheitlichen Auswirkungen führt.
Es besteht jedoch eine erhebliche Wissenslücke in Bezug auf die treibenden Kräfte und zugrunde-liegenden Mechanismen der gesundheitlichen Auswirkungen und infolgedessen ein Mangel an Daten, die für die Bewertung der Belastung und für Minderungsmaßnahmen verwendet werden können. Trotz umfangreicher Forschung ist immer noch unklar, welche Aerosolelemente oder Verbindungs-klassen gesundheitsschädliche Wirkungen verur-sachen, welche biologischen Mechanismen dabei vorherrschen und wie diese Wirkungen von der Atmosphärenchemie abhängen. Die wissenschaft-lichen Forschungsfragen, die hinter diesem komplexen Problem stehen, sind hochgradig interdisziplinär und ihre Beantwortung erfordert die Zusammenarbeit von Gesundheits-, Geo- und Umweltwissenschaften, Ingenieurwesen, Physik, Chemie, Biologie, Statistik und Modellierung.
Atmosphärische Aerosole sind komplexe Mischungen aus direkt emittierten (primären) Aerosolen und solchen, die in der Atmosphäre durch chemische Reaktionen von gasförmigen Vorläufern gebildet werden (sekundäre Aerosole). Bis zu 80 % der Feinstaubpartikel entstehen durch atmosphärische Chemieprozesse, bei denen durch Oxidation von gasförmigen Vorläufersubstanzen multifunktionale kondensierbare Produkte entstehen, die sich in die Partikelphase verteilen. Änderungen der atmosphärischen Zusammensetzung werden durch Emissionsänderungen aus natürlichen und anthropogenen Quellen erwartet, die zu einer komplexen und variablen sekundären Partikelzusammensetzung und -exposition führen. Darüber hinaus verstärkt ein wärmeres Klima Waldbrände und Ereignisse mit hoher Verschmutzung, während Veränderungen der atmosphärischen Strömungen Staub in neue Regionen transportiert werden.
Die Forschungsfrage nach dem Einfluss atmosphärisch gealterter Emissionen auf die Gesundheit führte zur Bildung des aeroHEALTH-Konsortiums, einer internationalen Kooperation des Helmholtz Zentrums München (HMGU, Deutschland), des Forschungszentrums Jülich (FZJ, Deutschland) und des Weizmann Institute of Science (WIS, Israel) sowie weiterer assoziierter Partner. Einzigartige Simulationseinrichtungen zur Untersuchung der Alterung auf verschiedenen Zeitskalen und mit unterschiedlicher Simulationskomplexität (z. B. SAPHIR-Aerosolkammer, Oxidationsströmungsrohrreaktoren), gekoppelt mit fortschrittlichen Expositionssystemen für biologische Modelle (Luft-Flüssigkeits-Grenzflächen-Expositionseinheiten zur Exposition von Zelllinien, Co-Kultur-Gewebe-Modellen oder Knockout-Zelllinien sowie In-vivo-Modellen) werden zur Untersuchung der gesundheitlichen Auswirkungen komplexer Aerosole und zur Klärung der Frage eingesetzt, wie sich diese während der atmosphärischen Alterung verändern. Verschiedene Expositionsmodelle in Kombination mit modernsten biologischen Untersuchungen (auf funktioneller und "omics"-Ebene) werden zur Entschlüsselung der biologischen Effekte eingesetzt. aeroHEALTH stellt eine direkte Verbindung zwischen Emissionsszenarien, chemischer Zusammensetzung, atmosphärischer Alterung und gesundheitlichen Auswirkungen her. Durch die Kombination von Einrichtungen und Fachwissen wird das aeroHEALTH-Konsortium in die Lage versetzt, diese komplexen Zusammenhänge auf einer Ebene anzugehen, die bisher nicht möglich war. Die gewonnenen Erkenntnisse werden schließlich für wissenschaftlich fundierte Strategien und Richtlinien für politische Entscheidungsträger sowie für die Entwicklung von Vermeidungsstrategien und -technologien unerlässlich sein.